„eine allerdings interessante Erzählung…“ – Beitrag von Christine Hansmann im Booklet des Hörbuches „Autun und Manon. Eine Erzählung. Charlotte von Schiller zum 250. Geburtstag“, erschienen im September 2017.
Damit doch jemand im Hause die Feder führt, bin ich auch mit meiner angefangnen Geschichte beschäftigt, die vielleicht doch so wird, daß man sie brauchen kann. Ich gehe streng zu wercke und lasse mir nichts hingehen, u. so wollen wir sehen was herauskommt.
Charlotte von Schiller an ihren Mann, Weimar, 15. März 1801
Von welcher Geschichte hier die Rede ist, lässt sich freilich nicht mehr feststellen, ebensowenig, ob es sich um eine Übersetzung oder einen Originaltext Charlotte von Schillers handelt. Das Zitat wirft aber einen bemerkenswerten Blick auf die Sorgfalt und Akribie, mit der sie ihre damals wie heute weitgehend unbekannten literarischen Arbeiten bedenkt.
Allerdings kann „Autun und Manon“ nicht gemeint sein, deren Manuskriptabschrift schon im Jahre 1800 von Friedrich Schiller an den Verleger Johann Friedrich Unger nach Berlin gesandt wird. Die Erzählung erscheint 1801 im dritten Stück des „Journal der Romane“, der Autor bleibt anonym ‒ und männlich. Letzteres entspricht nicht nur den Gepflogenheiten der Zeit, die weibliches Schreiben als widernatürlich ansieht, sondern soll auch die nicht geringe Höhe des zu zahlenden Honorars unterstützen:
Einstweilen, bis ich mich mit meinem eigenen Beitrag hervorrücken kann, welches noch diesen Sommer geschehen soll, sende ich Ihnen etwas von fremder Hand, das mir mitgetheilt und von mir durchgesehen worden. Es ist eine allerdings interessante Erzählung, die in der Sammlung kleiner Romane keine schlechte Figur machen wird. Eine zweite Erzählung, die ich aber noch durchzusehen habe, wird in kurzer Zeit nachfolgen. Ich habe dem Verfasser in Ihrem Nahmen 10 Ld‘ors für eine jede versprochen, da beide ohngefähr von derselben Größe sind, und hoffe, daß Sie meine Zusage, die Ihrem eignen Anerbieten gemäß ist, ratifizieren werden,
schreibt Friedrich Schiller am 17. April 1800 in dem Autun und Manon beigelegten Brief an Unger, der ihn ein Jahr vorher um Manuskripte für sein Journal gebeten hatte. Die Anfrage kommt der Familie Schiller und den beständigen Geldnöten entgegen; zudem ist dieses letzte der Jenaer Jahre, 1799, von zusätzlichen Sorgen geprägt: die Gesundheit ihres Mannes ist zerrüttet, auch Charlotte von Schiller erkrankt nach der Geburt des dritten Kindes Caroline im Oktober schwer.
Wenn man die Chronologie um die Erzählung Autun und Manon verfolgt, liegt der Schluss nahe, dass die Geschichte möglicherweise im Sommer oder Spätsommer 1799 entsteht bzw. aus dem Französischen übersetzt wird (siehe: „Die Vorlage“ von Michael Dissmeier auf den Seiten 4/5 dieses Booklets), also im Schillerschen Gartenhaus, an der Leutra gelegen, damals vor den Toren der Stadt.
Zieht man weitere Umstände hinzu, die Charlotte von Schillers Leben um diese Zeit bestimmen ‒ sie kümmert sich nicht nur um alle Familienbelange, die Erziehung der beiden Söhne und den Haushalt, sondern erledigt auch Korrespondenzen für ihren Mann, ist häufig die erste Leserin seiner entstehenden Werke, empfängt Besucher, führt selbst umfangreiche Briefwechsel, liest, zeichnet und musiziert ‒ so ist die Tatsache ihrer eigenen literarischen Arbeit nicht hoch genug einzuschätzen.
Es sind sechs Erzählungen – bis auf eine ähnlich in Sujet und Zeitkolorit – in die sich „Autun und Manon“ einreiht; vier davon finden sich im Nachlass Charlottes im Goethe- und Schiller-Archiv der Klassik Stiftung Weimar. Fünf von ihnen werden zu Lebzeiten anonym herausgegeben; bereits im März 1800 erscheinen in Johann Friedrich Cottas Monatsschrift „Flora, Teutschlands Töchtern geweiht“ die Erzählung „Die Nonne“ (ursprünglich „Rosalie“), im Maiheft dann „Die neue Pamela“.
Nach „Autun und Manon“ veröffentlicht Unger 1801 in der nachfolgenden Ausgabe des „Journal der Romane“ die Geschichte „Der Prozess“; 1802 folgt wiederum bei Cotta „Die Brüder“; die Manuskripte dieser beiden Erzählungen sind nicht erhalten. „Die Heimliche Heirat“ bleibt ungedruckt.
„Die Brüder“ ausgenommen, spielen alle Handlungen im französischen Ancien Régime ‒ anzusiedeln um ca. 1700 ‒ und folgen ähnlichen Mustern: zwei Liebende stehen im Mittelpunkt, deren Zueinanderkommen durch Lebensumstände, Standesunterschiede oder Verwandschaftsintrigen verhindert wird, bis nach etlichen Wirrungen die Proben zumeist bestanden sind und ein glückliches Ende winkt.
Am 12. Oktober 1799 schreibt Friedrich Schiller aus Jena an Cotta:
Ich frage nun noch bei Ihnen an, ob ich Ihnen die sechs Erzählungen für die Flora, wovon ich bei Ihrem Hiersein sprach, zusenden soll und ob Sie auf solche abschläglicher Weise gleich etwas bezahlen wollen, den Bogen 1 Carolin gerechnet, denn jetzt muß ich sie weggeben, um sie zu Gelde zu machen an Sie oder Unger, denn der Uebersetzer hat bißher aus meinem Beutel gelebt.
Sogar dem Verleger gegenüber, mit dem die Familie über die geschäftlichen Beziehungen hinaus befreundet ist, verschweigt Friedrich Schiller die Autorschaft.
Das Manuskript von „Autun und Manon“ verrät Charlotte von Schillers Handschrift. Mit einer grauen Papierbanderole umwickelt und von Emilie von Gleichen-Rußwurm (der jüngsten Tochter, die sich Zeit ihres Lebens um den Nachlass der Eltern verdient macht) beschriftet:
Autun u Manon von Schillerscher Hand corregirt
enthält es die vollständige Erzählung in 30 Blättern, wobei Blatt 21 fehlt. Das zweite Manuskript ist eine unvollständige Abschrift, vermutlich von Schillers schreibkundigem Diener Georg Gottfried Rudolph, der nicht selten für solche Arbeiten herangezogen wird.
Die Korrekturen Friedrich Schillers sind vor allem stilistischer Natur, den Inhalt der Erzählung lässt er unangetastet. Häufige Änderungen betreffen Satzstellung, Groß- und Kleinschreibung, Interpunktion sowie Dativ-und Akkusativanwendung (hier gibt es, zumal Regelwerke um 1800 fehlen, lebenslang Unsicherheiten bei Charlotte). Da es sich – wie wir jetzt wissen – bei „Autun und Manon“ um eine Übersetzung aus dem Französischen handelt, worin sie hervorragende Kenntnisse hat, kann man die Modifizierungen ihres Mannes u.U. eher als hilfreich für die Schlüssigkeit des deutschen Textes denn als einen Eingriff in die schriftstellerische Hoheit der Autorin betrachten.
Insofern folgt der Hörbuch-Text dem Neudruck der sechs Erzählungen in Band 16 der Schiller Nationalausgabe (ediert ab 1943). Dieser geht davon aus, dass es sich um Übersetzungen Charlotte von Schillers handelt, während Forschungen seit der Jahrtausendwende diese Frage wieder öffnen; nur die Geschichte „Die Brüder“ ist bereits 1802 von Cotta als Übersetzung angeführt.
215 Jahre (!) nach dem anonymen Erstdruck von „Autun und Manon“ erscheinen Charlotte von Schillers „Literarische Schriften“, von Gaby Pailer vollständig herausgegeben und kommentiert, in denen zahlreiche Gedichte, Dramenentwürfe, Reiseberichte, Erzählungen und Reflexionen versammelt sind. Auch die Fassungen von „Autun und Manon“ lassen sich hier in den Lesarten nachvollziehen. In diesem Kontext muss die Bedeutung der allerdings interessanten Erzählung, wie Friedrich Schiller sie nennt, zumal auf dem Hintergrund der gerade erst begonnenen literaturwissenschaftlichen Erforschung, offen bleiben. Gleichwohl ist Charlotte von Schillers Übersetzung Autun und Manon ein beredter Ausdruck ihrer sprachlichen wie künstlerischen Fähigkeiten, die erst jetzt mehr und mehr in den Blick gelangen und weitere Facetten ihrer nach wie vor unterschätzten Persönlichkeit zeigen.