Wie abwechslungsreich das Programm des von der TLZ mitveranstalteten Literaturfestivals Weimarer Lesarten ist, zeigt sich am heutigen Freitag (24. April 2015), wenn bei der Veranstaltung mit der Universitätsbibliothek zu „Lyrik im Glaspavillon“ mit Christine Hansmann und Thomas Rosenlöcher eingeladen wird.
Wir sprachen mit der Weimarer Lyrikerin und Gastgeber Frank Simon-Ritz, Direktor der Universitäts-Bibliothek.
Wer liest heute Gedichte? Das fragte im März 1959 (!) die Wochenzeitung „Die Zeit“. Im heutigen Informationszeitalter stellt sich die Frage mehr denn je. Welche Bedeutung hat Lyrik heute?
Simon-Ritz: Ich bin nur Gastgeber und das von Herzen gern. In der FAZ-Sonntagszeitung habe ich unlängst im Zusammenhang mit Griechenland gelesen: „Jetzt müssen die Politiker endlich anderes liefern als Lyrik“. Was ist denn das für ein Verständnis einer der wichtigsten literarischen Gattungen? Für mich ist das eine vollkommene Verkennung dessen, was Lyrik ist. In Zeiten von Tweets und Twitter, „WhatsApp“ und SMS gerät Sprache immer mehr in den Hintergrund. Wir drohen als Gesellschaft etwas zu verlieren.
Hansmann: Es gibt mehr Menschen, als wir annehmen, die Lyrik schätzen und mit Lyrik umgehen. Verkaufszahlen von Bestsellern sollten da nicht als Maßstab gelten. Auch gibt es etliche kleinere Verlage, wie „edition azur“ oder „quartus“, die sich der Lyrik annehmen und anspruchsvolle Lyrikreihen edieren.
Gehört Lyrik nicht in die Intimität von Abenden am Kamin?
Hansmann: Keineswegs. Die Qualität des Glaspavillons liegt in seiner für Lesungen idealen Raumgröße und in der gleichzeitigen Öffnung des Blicks nach außen.
Simon-Ritz: Das mit dem intimen Rahmen scheint mir eher einem gängigen Klischee zu entsprechen. Wir beginnen bewusst um 19.30 Uhr. Es wird in den Sonnenuntergang hinein gelesen. Lyrik ist nicht intim, Lyrik ist diskursiv. Ich finde, dass Lyriklesungen sehr gut zur Universität passen, gute Lyrik beschreibt einen Erkenntnisprozess.
Lyrik ist im Informationszeitalter wichtiger denn je. Was meinen Sie damit?
Simon-Ritz: Ich lerne jeden Tag bei meinen erwachsenen Kindern, dass im Internet, bei „WhatsApp“ auf sprachliche Verknappung, auf Zweckmäßigkeit und den Informationsgehalt gesetzt wird. Wo bleibt die sprachliche Qualität? Wo bleiben die feinen Unterscheidungen, die die deutsche Sprache bietet? Ich habe Sorge, dass die zunehmende Technisierung uns abzustumpfen droht.
Hansmann: Sprachliche Verarmung geht einher mit Empfindungsarmut, das sind schon Entwicklungen, die zu denken geben.
Lyrik muss ja auch, mit wenigen Worten und Sätzen, präzise etwas beschreiben.
Hansmann: Verknappung ist ein elementares Mittel. Ich kann mit drei, vier Worten etwas auf den Punkt bringen. Doch es gibt in der Tradition der Lyrik eine große Bandbreite.
Simon-Ritz: Ich glaube, dass es ähnlich ist wie in der Musik. Dass nicht jede Form zu einem spricht. Bei Lyrik ist es auch so, dass eine Stimme mir sehr viel sagt, die Gestimmtheit. Man spürt, ob sich jemand daran abgerungen hat, Metaphern, Bilder, Stimmen klingen lässt. Vor allem Adjektive zeigen, ob jemand damit umgehen kann.
Frau Hansmann,wovon lassen Sie sich inspirieren?
Ich bin viel in der Natur, die Thüringer Landschaft ist ebenso Quelle wie die alten und immer neuen Themen Liebe und Tod. Auch die Erfahrungen in der DDR, als das Schreiben eine viel stärkere Ventilfunktion hatte, haben mich geprägt. Verschwiegenes sagbar zu machen war ein starker Antrieb. Mein Beruf als Opernsängerin ließ mir dann nur selten Zeit zum Schreiben. Die Dichterin Gisela Kraft war zum richtigen Zeitpunkt eine wichtige Anregerin und Förderin.
Hat die Musik Sie beeinflusst, ich denke an die Wirkung der Sprachmelodie in der Lyrik?
Hansmann: Meine Verbundenheit mit der Musik ist sicher hörbar. Das sind Einflüsse, die ganz klar da sind.
Simon-Ritz: Es wird ein sehr konzentrierter Abend werden. Es gehört zum Profil der Lyrik-Abende, dass jeweils ein Lyriker aus Thüringen und einer von außerhalb kommt. Das ist bei der Lesung heute Thomas Rosenlöcher.
Hansmann: Ich freue mich besonders, dass Christian Rosenau, Gitarre, gemeinsam mit der Sopranistin Luise Hecht den musikalischen Part beisteuert. Er ist nicht nur Musiker, sondern gehört auch zu den Thüringer Lyrikern der jüngeren Generation, die über den Freistaat hinaus wahrgenommen werden; wir kennen uns gut und haben schon etliche Abende zusammen gestaltet.
Es gibt die Literatur- und Autorentage auf der Burg Ranis. Doch wie ist es im Freistaat um die Förderung von Lyrik bestellt?
Hansmann: Die Thüringer Lyriklandschaft ist reich und vielgestaltig. Vereine wie die Literarische Gesellschaft Thüringen, der Thüringer Literaturrat oder der Lese-Zeichen e.V. stehen, auch angehenden jungen Lyrikern, als Förderer und Veranstalter zur Seite. Es gibt zudem ein breites Netzwerk unter den Dichtern, man kennt und unterstützt sich. Autoren, die von außerhalb nach Thüringen kommen, nehmen das oft als Besonderheit wahr.
Lyrik steht immer auch ein wenig im Schatten der großen Romanautoren und wird mitunter nicht ernst genommen.
Simon-Ritz: Man kann sicher mit Fug und Recht behaupten, dass Lyrik nie so populär wird wie zum Beispiel Krimis. Der Grundgedanke ist doch, mit Sprache umzugehen, mit Sprache zu ringen. Ich denke aber auch an die grandiose Lyrik der Pop- und Rockmusik, der Beatles oder eines Bob Dylan.
Wie kann man der Jugend Lyrik nahebringen?
Hansmann: Es gibt vielfältige Möglichkeiten, Poetry Slam Workshops, Schreibwerkstätten, sommerliche Kreativtage wie auf Burg Ranis, hier wird viel getan. Natürlich ist es wichtig, junge Menschen dort abzuholen, wo sie stehen, eine Schiller-Ballade als Rap ist da schnell ein Türöffner.
Simon-Ritz: Die Haltung des Lesens ist etwas anders als etwa beim Krimi. Da geht es um Informationen.
Hansmann: Lyrik lenkt den Fokus auf innere Momentaufnahmen, sie verlangt und schult Konzentration, darauf muss man sich einlassen.
Das Gespräch führte Christiane Weber.
Thüringer Landeszeitung, 24. April 2015
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Interviewpartner und der Redaktion