„Was ich alles unter einen Hut bringen musste, wollte und nie konnte.“
Ein Gespräch mit der Opernsängerin und Dichterin Christine Hansmann.
„Es war eine typische Gisela-Situation, als wir uns kennenlernten. Wir führten „Fausts Verdammnis“ von Berlioz auf, und ich spielte die Margarete. Nach der ersten Probe klopfte es an meiner Garderobentür, und da stand sie, in all ihrer blonden, langhaarigen, gewändrigen Pracht und sagte: „Ich bin Gisela Kraft und es war wunderbar“. Sie überreichte mir „Katze und Derwisch“, das ich schon seit meiner Mädchenzeit besaß. Ich war überwältigt, und von da an hat sie mich in ihren inneren Kreis hineingenommen.“ Und mit der Aufnahme Christine Hansmanns in den Kraftschen Freundeskreis konnte beginnen, was nun endlich seinen ersten Abschluss in Form des Debüts „Flucht ins Gelände“ fand.
„Gisela Kraft hat mich bestärkt. Sie bat mich um Texte, und ich gab ihr vor zwölf Jahren einen Riesenpacken, von denen sie nur wenige mit Kreuzchen versah, was soviel hieß, dass sie ihr gefielen. Sie sagte immer, schreib weiter, es lohnt sich, tue es jetzt. Ich entgegnete ihr, mein Leben biete zu wenig Raum, zu wenig Stille, zu wenig Einsamkeit.“
Schreibinseln nennt die Sängerin die wenigen kontemplativen und stillen Momente, die ihr zwischen dem Dasein als zweifache Mutter und dem anforderungsintensiven Engagement am DNT blieben. Stille und Schweigen sind die Grundbedingungen Ihrer Existenz, ihr Lebensbrot. Verfolgt man dieses Thema in ihrer Biographie, ergeben sich erstaunliche Koinzidenzen: Christine Hansmann wuchs in Eisenach auf, zwischen dem Kartausgarten und dem Johannistal. „Es sind die frühsten Prägungen, das Draußensein im Garten, im Wald. Ich bilde mir ein, dass ich frei im Wald laufen durfte, was wahrscheinlich nicht so gewesen ist. Aber ich war fast nur draußen.“ In diesem Garten, der nicht nur eine Siedlungsstätte der Kartäuser Schweigemönche war, sondern auch die Wirkungsstätte von Goethes Hofgärtner. „2008 habe ich dann im Rahmen einer großen Frankreichreise das Ursprungskloster La Chartreuse besucht. Das Schweigen, die Verbundenheit mit der Natur, mit der Gegend meiner Kindheit, der Wartburg, der Heiligen Elisabeth, sind wichtige Parameter für mich und all das begegnete mir in Frankreich wieder.“ Die Frage nach der Religiosität liegt nahe. „Ich trage sie nicht auf einem Tablett vor mir her. Sie ist Teil meiner inneren Stille, ein Rettungsanker“.
Noch einmal laufen die Fäden deutlich zusammen, überschneiden sich: Schweigen und Religion trafen auch in ihrer politisch bewegten Schul- und Jugendzeit in Erfurt als manifeste Grundempfindungen aufeinander. Während sich das eine als rettende Insel unter dem schützenden Dach der Kirche offenbarte, prägte das andere grundlegend ihr Lebensgefühl: eine Angst, eine anhaltende Sprachlosigkeit. „Wir waren geknebelt, wir konnten uns nur begrenzt äußern, wir lebten in dieser Zeit nach innen. Alles Wesentliche spielte sich nach innen ab, es war nicht sagbar. Ich habe nach der Wende noch einmal zehn Jahre gebraucht, bis ich bemerkt habe, was diese Zeit mit mir gemacht hat. Zu wissen, die Wahrheit ist doppelt, mindestens, und ich darf sie nicht sagen, und ich denke viel mehr, als ich sage, das sind ja Vorbedingungen für seelische Verwerfungen – aber das war uns natürlich gar nicht bewusst.“
Auch dies verzögerte das Schreiben, schlug sich nieder in den ersten Gedichten: Worte, einzeln auf die Zeile gesetzt, meist kleingeschrieben, ohne Interpunktion, dazwischen, im Großraum, uferten die Pausen, die Stille, das Schweigen. Für die formale Veränderung brauchte es nicht allein Zeit, sondern auch die Hilfe eines Kollegen und den Zuspruch der Literarischen Gesellschaft Thüringen e.V. Der Weimarer Dichter Christian Rosenau arbeitete gemeinsam mit ihr an dem Manuskript „Flucht ins Gelände“. „Da habe ich meinem Herzen einen Stoß gegeben, weil ich die Notwendigkeit einsah, die Form zu verändern, die Sprachlosigkeit zu überwinden. Denn ich muss ins Schreiben, um ich selbst bleiben zu können. Das ist eine Bedingung, die ich bisher nicht genug gelebt habe, aufgrund der Forderungen des Tages, des Berufes, der Familie, den Abschieden und Todesfällen, allem, was gewesen ist.“
Tatsächlich bilden die Abschiede die Klammer des Lyrikbandes, gewidmet ist er einer verstorbenen Freundin, der Auftakt und Abgesang erfolgt auf die Dichterin Gisela Kraft. Tod und Liebe sind schwierige Termini, eine Herausforderung für jeden Dichter, der sich Christine Hansmann schonungslos stellt. Paz, Ungaretti oder Whitman benennt sie als Vorbilder, und würdigt ihre Beherrschung des hohen Tons. „Das Hymnische zieht mich an, das kann ich gar nicht leugnen, in diesen Gedichten sind Liebe und Tod keine Fremdwörter. Die Liebe ist einfach ein zentrales Thema, und ich scheue mich auch nicht, ihr Größe zu geben. Ich versage mir diesen Hang zum Pathos nicht, weil er zu mir gehört und natürlich auch in die musikalische Seite hineinklingt.“ Beides gehöre schließlich untrennbar zu ihr, das Ausladende, was auch mit dem Beruf zu tun habe, denn sie singt das Charakterfach, und eben das Bescheidene, der leise Ton, das Schweigen. Zwischen diesen beiden Polen changieren auch ihre Gedichte.
Alles scheint in Verbindung zu stehen, sich zu bedingen, der rote Wollfaden der Ariadne lässt sich ganz wunderbar durch die Hansmannsche Biographie verfolgen. So wundert es nicht, dass die Sängerin, ihrer selbst auch auf der Spur, bereits an einem neuen dichterischen Projekt arbeitet, dass sich den Namen der Heiligsten, Ariadne, zum Titel nahm. An das Untätigsein ist nicht, war nie, zu denken, Kunst ist ihr notwendig. „Wenn ich nicht singe, dann schreibe ich, wenn ich nicht schreibe, dann male oder musiziere ich, das gehört einfach zu mir. Das Schweigen ist die Bedingung, das Wort wächst für mich aus dem Schweigen. Ich brauche das Nahhören, Hinhören, den Resonanzraum.“
Wer ihren wunderbaren Gedichten nahhören will, sei herzlich zur Buchpremiere am 07. Juni in das DNT eingeladen. Natürlich treten auch an diesem Abend Musik (Werke von Jaques Ibert, Jan Doormann (Uraufführung), Boris Blacher und Günter Raphael – mit dem Bläserquartett der Staatskapelle Weimar „Les quatre vents“.) und Wort im Wechsel auf: „Denn die Musikalität ist immer da, sie ist ein Grundgefühl.“
Nancy Hünger
Weimarer Kulturjournal 2015
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Autorin