Rezension zu „Flucht ins Gelände. Gedichte“ 2017

Ihr Debütgedichtband „Flucht ins Gelände“ ist ein bemerkenswerter Beginn. Christine Hansmann (geb. 1961) lebte und arbeitete viele Jahre als Opernsängerin in Weimar. 2013 verabschiedete sie sich von der Bühne. Die besondere Musikalität ihrer freien Rhythmen eignet sich auch zur Vertonung, wie es die drei Autographen von George Alexander Albrecht zu dem Gedicht „Sommergewinn“ demonstrieren, die dem dreigeteilten Band beigefügt wurden.

Gewidmet sind die Gedichte einer jung verstorbenen Freundin. Tod und Leben kreuzen sich in Hansmanns Gedichten immer wieder, schmerzliche Verluste und eine große Sehnsucht nach Leidaufhebung und Zuneigung. Die Sprache nutzt sie dafür zum Wort-werkzeug, mit dem sie ihren Ängsten zuleibe rückt und ausspricht, im Aussprechen aber das Wesentliche verschweigt. Das ist bemerkenswert. Substantive Metaphern reihen sich aneinander, wie in dem Gedicht „Oase“. Adjektive dagegen beschleunigen den Wortfluss, offenbaren das unterbewusste Ringen mit der Wortmaterie, dringen wie Grundwasser an die Oberfläche, öffnen das Gedicht hin auf die Welt. Beobachtungen der bedrohten Natur füllen vor allem die „Geraer Elegie“ am Anfang des Bandes im Abschnitt „Bilderbuch“, die mit zwei Strophen und jeweils drei Zeilen einen ganzen kleinen Kosmos umschreibt: „Himmelszeiger, ausgediente/ Feinstaubschleudern, gellende/ Mauersegler im Grund.// Alchemie des Abends, flügelgezeichnet./ Zwischen den Stahlbetonschloten/ lagert in Schwaden das Licht.“

Immer wieder kommen Pflanzen und Blumen in den Gedichten vor, was auf eine gründliche Kenntnis der Biologie und Botanik schließen lässt, wie in dem Gedicht „Hochsitz“: „…Leberblume, Gemeines Buschwindröschen,/ die Aussichtsbank haarscharf an der Bergkante./ Liebe – schönes, vergebliches Wissen, /Segelflug den Steilhang hinab./ Im Talgrund blüht der Huflattich noch.“

Der elegische Grundton aller Gedichte täuscht nicht darüber hinweg, dass Christine Hansmann immer wieder die Nähe ihrer Mitmenschen sucht. Zahlreiche Gedichte sind Freund/innen gewidmet, wie jenes an ihre Lyrik-Mentorin, die Schriftstellerin Gisela (Kraft). Ein sehr nahes, fast intimes Gedicht, das dem dritten Teil des Bandes seinen Namen gab: „Nachklang// Dich zu hören, also ob du hier wärst/ ein Klopfschmerz nahebei,/ Traum-gespinste, blonde Strähnen,// deine Stimme rauchlos jung; später/ wurde sie brüchig, in Leibhaft/ genommen -“.

Dem Gedicht „Resurecction“ stellt sie ein Zitat von Walt Whitman voran, das den Gedanken des Sterbens und der Auferstehung anspricht. „Mein Engel wäre es, rauschend nicht/ und nicht in flirrendem Gold, nein,/ eine Linie des Mundes, die leise// er nachzieht, das scheue Blinzeln der Augen,// dass ich wieder aufschau und blicke// wieder umher und mein Gesicht/ mir die Welt zärtlich zurückwirft -/ von neuem könnte mein Engel es sein“. Eine enigmatische Sprache, geheimnisvoll und tief, die sich der Mittel bewusst ist. In „Intermezzo“ findet man ihr lyrisches Bekenntnis: „Hier entlang: zerbröckelndes Eis, von der/ Brücke geworfen, mutwilliger Hagelschlag,/ der Wasserrand – Zellophan zum/ Zerreißen gespannt.// Zwischenschritte: Mir entgegen, voraus,/ vorüber. Gelassenen Auges die Gangart/ wechseln – auf diesem Glatteis bin ich/ dingfest genug.“

Heinz Weißflog
in: SIGNUM. Blätter für Literatur und Kritik. hrsg. von Norbert Weiß, Heft 2/2017

Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Herausgebers