Beitrag über Hanns Eislers „Ernste Gesänge“ von Christine Hansmann im Rahmen der „Langen Nacht zu Hanns Eisler“ am 25.11.2017 im Theaterhaus Jena.
Keine feschen Märsche, sondern „Ernste Gesänge“ zu schreiben, erforderten die Ereignisse der Zeit, hören wir Hanns Eisler sagen und: es hätte ihn ein Jahr gekostet, sieben kleine Stücke in Ordnung zu bringen.
Die „Ernsten Gesänge“ – ein Anklang an die „Vier Ernsten Gesänge“ von Johannes Brahms – an denen Eisler bis kurz vor seinem Tod am 6. September 1962 gearbeitet hat, können als ein Vermächtnis, ein Resümee gelten, auf jeden Fall aber als eindrücklicher Schlusspunkt seines kompositorischen Schaffens. Den Liedern vorangestellt sind „Vorspiel und Spruch“ , ein wieder mit der „Eisler-Schere“ herausgeschnittenes Hölderlin-Textfragment:
Viele versuchten umsonst, das Freudigste freudig zu sagen / hier spricht endlich es mir, hier in der Trauer sich aus. ‒
Fünf der Gesänge wie An die Hoffnung aus dem Hollywooder Liederbuch basieren auf Klavierliedern, die Eisler überarbeitet und durchgehend orchestriert hat. Wieder sind die musikalischen Mittel komplex, es gibt tonale wie atonale Anteile, etliche Selbstzitate z.B. aus Filmmusiken, eine ganze Bandbreite an Stilistiken. Dem Sänger empfiehlt Eisler, er möge die Stücke singen, als wenn er‘s aus dem Baedecker vorlese, oder: sich bemühen…, den Hörern die Inhalte eher zu referieren als auszudrücken. ...
Vertont sind neben Texten von Hölderlin Gedichte von Bertold Viertel, Giacomo Leopardi, Helmut Richter und Stephan Hermlin. Dabei spielt die Metapher des Herbstes, wie sie uns im ersten und letzten Lied begegnet, eine besondere Rolle. In seiner Fülle ruht der Herbsttag nun und Nah ist der Herbst weisen auf eine wenn nicht elegische – eine solche Haltung war Eisler fremd – so doch von Trauer grundierte Auseinandersetzung mit dem fortschreitenden Alter und der widerspruchsvollen politischen Situation im geteilten Deutschland zu Beginn der 60er Jahre. Rückerinnerung und Vorschau auf Zukünftiges, wie er selbst es nannte.
Das Gedicht XX. Parteitag hat in Eislers Zyklus einen eher zurückhaltenden, sparsamen Gestus: Pizzicati der Streicher grundieren die einfache melodische Linie, die Zeile Leben, ohne Angst zu haben wird akzentuiert und wiederholt, Pathos verbietet sich. Aus der Anklage ist eine leise, von Zweifeln durchzogene Frage geworden: wäre es nicht doch möglich, dieses Leben ohne Angst zu haben ?
Vielleicht hatte Eisler auch das Schicksal von Hedi Gutman im Sinn, mit der er Anfang der 30er Jahre in Berlin liiert war. Sie wurde 1937 in Moskau verhaftet und in ein Arbeitslager deportiert, wo sie 18 Jahre verbrachte. 1956 schrieb sie aus dem Gulag einen Brief an Bertolt Brecht, woraufhin sich Brecht und Eisler um ihre Rückkehr bemühten, was erstaunlicherweise auch gelang. Als Gegenleistung musste sie der Stasi versprechen, über ihre Erlebnisse im Gulag zu schweigen. Mit Steffi Eisler, die sich rührend um sie kümmerte, blieb Hedi Gutmann bis zu ihrem Tod 1972 eng verbunden.
Der Publizist und Literaturwissenschaftler Dietmar Ebert schreibt: „Zieht man den NS-Terror in Betracht, aber auch Eislers Anklage vor dem „Ausschuss für unamerikanisches Verhalten“ oder auf ganz andere Weise die Angst vor jedem nächtlichen Geräusch, das eine Verhaftung ankündigen konnte, wie sie Dmitri Schostakowitsch oder David Oistrach beschrieben haben, so wird sehr deutlich, dass Eislers Zukunftshoffnung eine brüchige geworden und er sich des „künftigen Glücks“ so gewiss nicht mehr war.
Eines aber kennt Hanns Eisler sehr genau: den Ort, aus dem er als Heimatloser und Asylant niemals vertrieben werden kann: Es ist das Lied.“
II: Beitrag über Hanns Eislers „Hollywooder Liederbuch“ von Christine Hansmann im Rahmen der „Langen Nacht zu Hanns Eisler“ am 25.11.2017 im Theaterhaus Jena
Die zentrale Gewalt der Lieder ist ihr Ton: höchst differenziert zugleich und gesammelt in einem Willen, der Kunst durchbricht: die Welt zu verändern.
Was Theodor Adorno 1929 übers Hanns Eislers Liederzyklus „Zeitungsausschnitte“ schrieb, gilt gleichermaßen für die knapp 50 Lieder des „Hollywooder Liederbuches“ der Jahre 1942/43.
Entstanden im kalifornischen Exil als eine Art musikalisches Tagebuch, scheinbar zum Zeitvertreib, spiegelt das „Liederbuch“ die Situation des Emigranten, seine Hoffnungen, Wünsche, Erinnerungen ebenso wie Alltagsbeobachtungen, philosophisches Nachdenken oder die prekären Arbeitsbedingungen für Künstler in der Eisler umgebenden künstlichen Idylle von Hollywood.
Dabei greift Eisler die klassische Konzertlied-Tradition zugleich auf und bricht sie wieder, indem er unterschiedlichste Stile neben- und ineinander stellt und vor allem die Lied-Schlüsse immer wieder konterkariert: keine „Happy Ends“, sondern „Doppelpunkte“, leisere oder lautere „Paukenschläge“, die einen Raum des Weiterdenkens für den Hörer öffnen. Das Prinzip der Montage-Technik zieht sich wie ein roter Faden durch seine künstlerischen Schaffensprozesse.
Ähnlich verfährt Eisler mit den Textgrundlagen: während die 28 Gedichte aus der Steffinschen Sammlung von Bertolt Brecht unangetastet bleiben, montiert er z.B. in den sechs „Hölderlin-Fragmenten“ Textteile so zusammen, wie er es für angebracht hält, entgipst sie, wie er sagte. Weitere Lieder Eislers vertonen Gedichte von Blaise Pascal, Goethe, Bertold Viertel, Mörike oder Rimbaud.
Der Publizist und Literaturwissenschaftler Dietmar Ebert schreibt: “Seine Schaffenssituation kommentierte Eisler mit bissiger Ironie und einer Spur kommunistischer Überheblichkeit: Stellen Sie sich vor: Ich sitze als alter Kommunist, emigriert, in Amerika; ich sehe die Panzerschlachten und schreibe ein Gedicht zur Verherrlichung Deutschlands. […] Wenn es Dialektik gibt, ist das Dialektik.
Mag sein, dass es Dialektik ist, mag sein, es ist Eislers ganz besondere „Kunst zu erben“, und Peter Weiss hätte ganz sicher Eislers Hollywooder Liederbuch als eine ganz spezielle „Ästhetik des Widerstands“ in der Musik bezeichnet.“
Ob wir die Bemerkung Eislers Brecht gegenüber, die Lieder seien kleine, nicht sehr bedeutende Gelegenheitsarbeiten, gelten lassen können? Ganz sicher nicht. Der Musikkritiker Hans Heinz Stuckenschmidt meinte, Eisler läute eine neue Epoche der Liedkomposition ein, eine Epoche der Antilyrik. Dabei wird man der Musik stärkste Empfindung, stärksten Ausdruck kaum absprechen können.