Vor zehn Jahren veröffentlichte das Thüringer Literaturjournal „Palmbaum“ erstmals Gedichte von Christine Hansmann, der Opernsängerin am Deutschen Nationaltheater Weimar. Später konnte man in der Zeitschrift „Ort der Augen“ Verse von ihr lesen. Und immer wieder las sie im Freundeskreis der Weimarer Schriftstellerin Gisela Kraft. Nun liegt mit „Flucht ins Gelände“ ihr erster Band vor.
„Bilderbuch“, „Blickwechsel“ und „Nachklang“ sind die Kapitel überschrieben. Die Gedichte mit ihren meist dreizeiligen oder vierzeiligen Strophen nehmen den Leser für sich ein. Nicht nur, weil er mit ihnen in der Thüringer Landschaft, der Umgebung verweilt, auf dem Ettersberg oder dem Bärenhügel, auf Beckers Kirchhof oder auf dem historischen Friedhof in Buttstädt, dem Campo santo. Sondern weil etwas von der Anmut und der Geschichtsträchtigkeit dieser Orte in den Versen selbst aufgehoben ist. „Halt an Wanderer, den Schritt: heiliges / Feld, Vorgebürge grünender Hoffnung, / Buntsandstein in verwitterten Wellen“, lautet die erste Strophe über den Buttstädter Friedhof. Christine Hansmann gibt ihren Gedichten etwas, was man bei heutiger Lyrik oft vermisst: Es ist die Einfachheit und damit auch eine Eingängigkeit.
Da ist so gar nichts von Verkopftheit oder Weltüberdruss. Man lese die „Kleinen Zeilen von der Liebe“ mit ihrem innigen Grundgestus. Vielleicht ist ab und zu in diesen Versen ein Gramm zu viel Gefühl. Doch den Leser nimmt diese Verbindung von Singen und Sagen gefangen. Dabei baut Christine Hansmann kleine Widerstände ein, wenn sie die Strophen durch Zeilensprünge aufraut und gleichsam Einhalt gebietet. Sind das Idyllen von einer heilen Welt? Nein, vielmehr setzt sie dem heutigen Leben mit seinen scharfen Konflikten und Verwerfungen etwas entgegen, dass es mit Kräften zu bewahren gilt, freundliche Mitmenschlichkeit.
Es wird ja immer wieder gesagt, in Thüringen gedeihe die Lyrik besonders gut. Der Band benennt Gründe. Die drei Widmungsgedichte für Gisela Kraft, für Christian Rosenau und Nancy Hünger machen einsehbar, wie Schreibende aufeinander zugehen und einander zuhören. Es ist dieses Geben und Nehmen, auf das auch Nancy Hünger in ihrem schönen Nachwort aufmerksam macht. Dabei ist die Autorin selbstbewusst genug, ihren ganz eigenen Blick auf die Landschaften und Wechselfälle des Lebens zu geben. Und hier fällt das, das Ganze rahmende, Gisela Kraft gewidmete Gedicht „Sommergewinn“ besonders auf. Es wurde von George Alexander Albrecht vertont. Der Abdruck seiner Notenhandschrift durchzieht den Band.
Dieses Gedicht auf den Tod der Freundin und Mentorin steht wiederum in einer unaufdringlichen Verwandtschaft zu einem, das Gisela Kraft 2007 auf den Tod einer Gefährtin schrieb. In der mittleren Strophe von Christine Hansmann heißt es: „Längst sind dir Flügel gewachsen, / ein Federkleid aus Worten, purpurn, / zinnober-, paradiesapfel- / rot wie deine Augustgewänder“. Das Gedicht lebt durch sein ganz leises Pathos. Gerade in ihm sind die lyrischen Tugenden der Autorin auf das Schönste versammelt.
Dr. Martin Straub
Thüringische Landeszeitung, 2.6.2012
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Redaktion